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Leseprobe Sixpack

Mein Durchschnittspatient bekommt in der physiotherapeutischen Behandlung von Mark, seinem Therapeuten, die Aufgabe der Rumpfmuskeln erkärt.

Aus dem Kapitel: „Bauchmuskeln„:


„Um Ihre Bauchmuskeln wieder in natürliche Bewegungsabläufe zu integrieren, werde ich Ihnen einen Trainingspartner zur Seite stellen.“
Mark faltet ein Handtuch zweimal in der Länge und legt es mir in den Hohlraum meiner Lende.
„Über dieses Tuch erhalten Sie eine ständige Rückmeldung in welcher Position sich Ihr Rücken gerade befindet. Rollen Sie nun das Becken so ein, dass Sie Ihren Trainingspartner platt auf die Unterlage pressen.“
„Der arme Kerl. Aus der Festhalte kommt der nie wieder raus.“
Mark zieht an einer Seite des Handtuches. „Oh, ich sehe Sie schummeln. Legen Sie Ihre Hände auf den Bauch und drücken Sie nur mit Ihrer Lende.“
„Na Sie sind ja ein Fuchs.“
„Ihre Hände haben die Aufgabe wahrzunehmen, wie sich die Form Ihres Bauches verändert. Spüren Sie was passiert?“
Mein Bauch hebt und senkt sich im Wechsel. Ähnlich einem Showmaster, der den Hauptgewinn präsentiert, sagt er plötzlich:
„Tadaa, der Bauch wird flacher!“
„Ey, das ist nun schon die zweite Anspielung auf meine Figur, wollen Sie sagen, dass ich fett bin?“ Mark lacht lauthals.
„Nein, natürlich nicht. Ich finde es nur unglaublich wie leicht man die Form des Bauches beeinflussen kann.“
Ich übertreibe seine Ausführungen:
„Ach so, Sie wollen damit sagen, dass Ihr Konzept alle bisher bekannten Diäten in den Schatten stellt! Die Gesundheitsratgeber, Apothekenumschau, Men’s Health und Brigitte können einpacken! Hier ist die Innovation von morgen! Die ultimative Übung auf die die Menschheit so lange gewartet hat. Bauch weg in einer Sekunde!“
Mark stimmt mit ein und fügt hinzu:
„Und noch viel besser: Sie brauchen keine teuren Geräte kaufen, keine Pillen einnehmen. Diese Übung hat keine Nebenwirkungen und kann überallhin mitgenommen werden. Stehen Sie an einer Haltestelle und warten auf den Bus, Becken eingerollt und der Bauch ist weg! Läuft eine Frau durch die Einkaufspassage und sieht ihr seitliches Spiegelbild in den Scheiben der Boutique: Becken eingerollt und zack, passt das schöne Kleid aus dem Schaufenster! Alle Werkzeuge die Sie dafür benötigen haben Sie immer bei sich!“
Das Lachen verebbt allmählich und ich seufze beim Reden:
„Jaaa, das Leben kann so einfach sein.“
Mark holt uns wieder auf den Boden der Tatsachen.
„Genau, nur leider verlernen die meisten Menschen die Leichtigkeit des Seins und liegen irgendwann auf der Behandlungsbank eines Therapeuten, um das natürliche Zusammenspiel der einzelnen Körperabschnitte wieder zu erlernen. Im nächsten Schritt geht es darum den Jo-Jo-Effekt zu verhindern und die Figur zu halten.
Bleiben Sie im ständigen Kontakt mit Ihrem Trainingspartner. Das Becken bleibt in der Position und Sie heben ein Bein an. Das Becken bleibt dort.” betont er. “Und Sie heben das andere Bein mit an. Das Becken verändert sich nicht, Sie stellen ein Bein ab. Das Becken halten.” Macht er nochmals deutlich. “Dann stellen Sie das andere Bein ab. Jetzt erst können Sie die Spannung in Ihrem Bauch wieder loslassen. So lange Belastung auf Ihrem Rumpf ist, benötigen Sie die Aktivität der Bauchmuskulatur. Alles soll dort gehalten werden, wo es hingehört. Seien Sie ehrlich zu sich und überprüfen Sie immer wieder die Auflagefläche und die Form Ihres Bauches. Und für die nächste Übung, achten Sie darauf, dass die Schultern und der Kopf locker liegen bleiben. Erst wenn es Ihnen gelingt, dass sich nichts verändert, während Sie mit den Beinen wackeln, können Sie die Übung steigern und ein Bein in der Luft lang strecken. Wenn Sie die Beine im Wechsel ausstrecken, üben Sie nämlich ein Grundprinzip des Laufens. Der Rumpf bleibt stabil und die Beine bewegen sich.“
Er untermalt seine Worte in dem er seine Hand stabil mit der Anderen festhält und den Zeige- sowie den Mittelfinger herausschauen lässt. Die Finger imitieren ein laufendes Männchen. Ich spüre wie sich unterhalb meines Bauchnabels die Spannung derart erhöht, dass es genau dort anfängt zu zittern. Aber auch meine Oberschenkel scheinen zu schlapp zu sein das Gewicht meiner Beine zu halten.
„Pause?“
„Pause!“

Schräge Bauchmuskeln

Mark erklärt mir die Rolle der diagonal verlaufenen Bauchmuskulatur. Dabei beginnt er zu gestikulieren, ähnlich einem Stewardessen-Ballet.
„Unser Skelett ist unser Grundgerüst, an dem alle Strukturen direkt oder indirekt aufgehangen sind. Stehen Sie vor einem Baugerüst, sehen Sie das gleiche Prinzip. Es gibt senkrecht und wagerecht verlaufende Stangen. Damit das Gerüst stabil gehalten werden kann, sind diagonal verlaufende Stangen angebracht. Vereinfacht dargestellt ist das auch im menschlichen Körper so. Das Becken, mit der Beckenbodenmuskulatur, das Zwerchfell und der Schultergürtel sind die wagerecht verlaufenden Strukturen. Die Wirbelsäule, mit dem direkt daneben liegenden Rückenstrecker sowie die geraden und seitlichen Bauchmuskeln sind die senkrechten Strukturen. Diese drei Etagen werden über diagonal verlaufende Faszien und Muskeln zusammengehalten. Um diese geht es als Nächstes.“
Ob er das wiederholen kann? Beim nächsten Mal sollte ich eine Kamera dabeihaben.
„Haben sich Ihre Muskeln wieder erholt?“
„Natürlich!“ sage ich, um mir nicht die Blöße zu geben.
Ich fühle mich wie ein auf dem Rücken liegender Käfer, der darum kämpft sich wieder umdrehen zu können und vor dem Monster, welches ihn in diese ungünstige Lage gebracht hat, davonlaufen zu können. Liegend auf der Behandlungsbank strecke ich die Beine im Wechsel aus, versuche beide Beine lang zu machen, drehe sie im Kreis, hebe eine Schulter, dann die andere oder beide. Ich kämpfe immer mit Mark um meinen Trainingspartner im Rücken.
„Meins!“ sage ich einmal zu ihm, als er die kurze Chance hatte mir das Handtuch wegzunehmen. Und tatsächlich lerne ich von Mark, als ich versuche mit meiner Hand zum gegenüberliegenden Fuß zu kommen, dass diese Übung  ‘der Käfer’ genannt wird. Ich stöhne vor Erschöpfung.
„Und als Steigerung können Sie mit einem Ellenbogen das Knie berühren.“
„Erstmal können vor lauter Lachen.“ erwidere ich genervt.
Fröhlich und munter spricht Mark weiter:
„Wie Sie sehen, sind Ihrer Kreativität keine Grenzen gesetzt, wenn Sie nur darauf achten Ihren Rücken stabil zu halten. Und das was Sie dort spüren sind Ihre Bauchmuskeln.“
Ich fasse mit beiden Händen auf meinen Bauch und wackele die Masse auf und ab.
„Ein Sixpack habe ich schon lange nicht mehr.“
„Oh doch.“ sagt Mark. „Genau genommen hat Ihr Muskulus rectus abdominis sogar acht Pakete, nur sind diese zurzeit in keinem guten Trainingszustand.“
„Rectus wer? Ha, ich glaube meine Muskeln haben sich zur Fusion entschieden. Nach langen Diskussionen auf der Couch sind wir zu dem Entschluss gekommen, uns zu einem großen Unternehmen zusammenzutun.“ Mark lacht.
„Nur leidet meistens die Qualität darunter. Was Sie brauchen ist ein gut funktionierendes Zusammenspiel Ihrer Rumpfmuskeln. Jedes Teil hat eine bestimmte Aufgabe in Ihrem Körper.“
Mark berührt verschiedene Stellen auf meinem Bauch und sagt:
„Darf ich vorstellen: Rectus, Obliquus, Quadratus und Transversus. Alle aus der Familie des großen Abdominis.“ Jetzt lache ich wirklich.
„Die hören sich an wie die vier Musketiere.“
Mark kann sich auch nicht mehr halten.
„Treffender Vergleich und ein schönes Wortspiel. Die Muskeltiere! Das stärkste Dreamteam im menschlichen Körper! Ja, und sie haben sogar mehrere hoheitliche Aufträge. Sie schützen unsere inneren Organe, sie halten die Gemeinschaft zusammen und sie sind zuständig für die optimale Lastenverteilung.“
„Das erfordert sicher eine gute Abstimmung mit den Weggefährten aus der Nachbarschaft.“
Ich denke kurz an die vielen Abstimmungsprobleme auf Arbeit.
„Genau, bei jedem Schritt und bei jeder Bewegung die Sie machen ist es wichtig, dass diese vier genau wissen, was sie tun. Wie viel Spannung ist notwendig? In welche Richtung soll die Spannung weitergeleitet werden? Das sind Dinge, die eigentlich unbewusst ablaufen sollten.“
„Eigentlich? Sollten? Das heißt, mein Team braucht Nachhilfeunterricht?“
„Deswegen liegen Sie hier!“
Ich hebe meinen Kopf und spreche zu meinem Bauch:
„Hey Transilvanus, Quadrantus und wie ihr alle heißt, jetzt strengt euch mal an. Die Aktion Sommerkörper steht bevor!“
„Das klingt nach einem guten Plan. Aber denken Sie daran, nur gemeinsam sind sie stark. Die geraden Bauchmuskeln sind, funktionell gesehen, nicht ganz so wichtig, wie es uns in der Werbung suggeriert wird. Der schöne Rectus kann die großen Aufgaben nicht alleine stemmen.“
Nachdem wir uns wieder etwas beruhigt haben, meint Mark, dass wir nun den Spieß umdrehen. Auch um meinen Bauchmuskeln eine Pause zu gönnen.